Im Gegensatz zum großen Nachbarn Jotunheimen ist das vorgelagerte Huldreheimen wohl eher ein Insidertipp. Hier vermisst man zwar die Superlative, nichts jedoch von dem was eine „Fjelltur“ ausmacht: kleine, nicht für den Wanderer „aufbereitete“ Steige, einfache Hütten statt großer Berggasthäuser, endlose Fernsichten und nicht zuletzt den Spirit des „Friluftsliv“, der von den norwegischen Weggefährten ausgeht
Schon als wir mit der Color Magic in den Morgenstunden in den Oslofjord einfahren ist es warm, unnatürlich warm. Wo sich sonst jeder gerne eine Jacke überzog, um die Fahrt durch den Fjord zu genießen, stehen die Leute heute in T-Shirt und kurzer Hose an Deck. 26 Grad bei unserer Ankunft in Oslo schon morgens um 10 Uhr! Ob das wohl gutgehen wird?
Im Büro des DNT entleihen wir uns den Schlüssel für die Selbstbedienungshütten auf unserer Tour – und dann nix wie weg aus dieser vollen, heißen Stadt. Als wir vorbei am Tyrifjord in Richtung Fagernes fahren, donnert es bereits.
Wir fahren hinauf in das Feriendorf Yddin. Hier hatte Detlef im März 2002 mit einer Gruppe von Sausewind eine Skitour von Hütte zu Hütte unternommen, die wir jetzt in etwa nachgehen wollen. Unsere Runde begint mit der Hütte Storeskag auf 1.120 Metern. Bis hierhin führt eine Schotterstraße von Yddin herauf.
In der Hütte gibt es bereits Besuch: Zwei Damen aus Dänemark mit Ihren schon größeren Söhnen und gerade als wir das Abendessen zubereiten kommt noch eine norwegische Familie mit drei kleinen Mädchen. Sie wollen wie die Dänen morgen nach Haldorbu, um die Runde in umgekehrter Richtung zu gehen wie wir. Und dann setzt kräftiger Regen ein, der schon die ganze Zeit drohend am Himmel gestanden hatte. „Was tun wir, wenn es morgen immer noch so heftig regnet?“, fragt Detlef. „Gehen“ ist meine Antwort. Im Huldreheimen sollten wir doch den Beistand einer Elfe oder einer guten Fee haben!
Tag 1. Storeskag – Skriurusten, 11,2 km
Und diesen Beistand haben wir auch! Noch während wir in der Hütte aufräumen und unsere Rucksäcke packen hört der nächtliche Regen auf und wir können uns im Trockenen auf den Weg machen, trocken allerdings nur von oben. Auf den ersten Kilometern führt der Weg durch das Sumpfgebiet der Skagsflye und da ist es fast egal ob Regen oder nicht, nasse Füße bekommt man auf jeden Fall. Erst nachdem wir den Bergrücken erreichen hinter dem unser heutiges Ziel, die Hütte Skriurusten liegt wird der Untergrund trockener.
Sogar die Sonne kommt jetzt hinter den Wolken hervor und das kleine private Hüttchen mit dem schönen Namen Buatindbua lädt zu einer kurzen Rast ein. Lange dauert das Vergnügen allerdings nicht. Über dem Gipfel des Skaget hält sich hartnäckig eine große dunkle Wolke, die sich jetzt in unsere Richtung auf den Weg macht. Das war es dann wohl mit unserer Sonnenpause! Eng an die Hauswand gedrückt lassen wir den Hagelschauer über uns ergehen. Liebe Elfe, so hättest du dich bei uns nicht in Erinnerung bringen müssen!
Wie zur Entschädigung haben wir danach einen festen, trockenen Weg unter den Füßen und von der Höhe des Bergrückens, den wir bald danrauf erreichen eine großartige Sicht in den weiten Talkessel mit mehreren Seen in dem auch die Hütte Skriurusten liegt. Wir sind hier im Zentrum des Huldreheimen, mitten im Langsua Nationalpark, der 2011 durch die Erweiterung des Ormtjernkampen Nationalparks entstand.
Wir steigen hinunter, überqueren Bäche mit und ohne Brücken, treffen wieder auf sumpfiges Gelände und folgen dem Hang entlang durch Heide ähnliches Gebüsch. Es „zieht sich“ ehe wir die Abzweigung hinunter nach Skriurusten erreichen. Die Hütte liegt gut versteckt auf einer Lichtung in einem Birkenwäldchen und Detlef erinnert sich, dass sie damals auf der Skitour nur schwer zu finden war.
Skriurusten besteht aus einem hübschen, kleinen Haupthaus, voll besetzt mit einer vierköpfigen Familie aus Oslo und mit uns. Wenn jetzt noch Besucher kommen, müssen sie in der benachbarten Sikringsbua (Notunterkunft) übernachten. Doch wir bleiben unter uns und es wird ein gemütlicher Abend. Bis weit nach 22 Uhr sitzen wir in der Stube zusammen und noch immer scheint die Sonne durch die Fenster herein.
Tag 2. Skriurusten – Storkvolvbu, 6,7 km
Was für ein herrlicher Morgen! Die Sonne spitzt über die Berge und kaum eine Wolke zieht über den zartblauen Himmel. Gemeinsam mit der Familie räumen wir nach dem Frühstück die Hütte auf und holen frisches Trinkwasser herein. Wir verabschieden uns mit dem Worten „Vi sees på Haldorbu.“ Dorthin gehen sie heute und wollen zwei Nächte bleiben, sodass wir uns dort wiedersehen könnten. Wieder sind wir die Letzten, die die Hütte abschließen, für mich immer ein Gefühl wie das Abschließen der eigenen Haustüre.
Wir lassen uns Zeit, suchen uns in aller Ruhe Fotomotive und genießen die herrliche Aussicht. Mit nur nur knapp sieben Kilometern ist die heutige Etappe nach Storkvolvbu deutlich kürzer als gestern und weist nur wenig Höhenunterschiede auf. Nach nicht einmal 200 Metern Anstieg haben wir unsere Gehhöhe erreicht, auf der unser Pfad ohne nennenswertes Auf und Ab um den Berg herum führt. Eine Gruppe von ca. 15 Leuten kommt uns entgegen, Ziel Skriurusten. Wie gut dass wir schon letzte Nacht dort waren.
Storkvolvbu, neben einem kleinen Bach am Ende des Hochtals gelegen, ist mit 1.200 m ist die höchstgelegene Hütte auf unserer Runde. Sie besteht wie häufig aus mehreren Häusern und ist ebenfalls eine Selbstbedienungshütte. Doch ist hier eine Hüttenwartin anwesend, die die Verteilung der Schlafplätze regelt. Diese ordnende Hand ist nicht verkehrt. Storkvolvbu liegt am Kreuzungspunkt mehrerer Wege, ist deshalb gut frequentiert und heute sogar bis auf den letzten Platz belegt. Wir kommen in dem kleineren Gebäude, der Sikringshytta unter, Küche, Aufenthalt und sechs Betten – alles in einem Raum. Der Nebenraum ist der private Bereich der Hüttenwartin während ihres zweiwöchigen Dienstes.
Mit einer Tasse Kaffee in der Hand sitze ich vor der Hütte in der Sonne, als gegen fünf noch einmal vier ältere Leute eintreffen, drei Frauen und ein Mann. Die Hüttenwartin reagiert schnell: 2 + 4 = 6, unsere Hütte wird heute zur Ü-60-Hütte!
Bereits die Begrüßung ist herzlich. „Ich heiße Else und ich Johannes“ stellen sich die beiden ersten vor. Im Nu sind wir mitten in einer angeregten Unterhaltung. Die Vier hatten vor langer Zeit einmal Deutsch gelernt und kramen jetzt ihre alten Schulkenntnisse hervor, wir bemühen uns auf Norwegisch. Else schlägt vor gemeinsam zu kochen und „kauft“ in der Vorratskammer ein. Das ist der unbestreitbare Vorteil dieser Selbstbedienungshütten, man schleppt keine Lebesmittel über die Berge und hat dennoch die Möglichkeit auf ein abwechslungsreiches, warmes Essen.
Als Detlef einmal kurz die Hütte verlässt sage ich, dass er heute Geburtstag hat und frage, ob sie das Lied „Hurra for deg“ singen würden, das wir aus unserem Norwegischkurs kennen. Sie sind auf der Stelle von meinem Vorschlag begeistert, singen die drei Damen doch in einem Chor und als wir uns später an den gedeckten Tisch setzen, stimmt Else an. So gerührt und verlegen habe ich Detlef selten gesehen. Später am Abend gibt es dann mangels Geburtstagskuchen frische Pfannkuchen mit Marmelade aus der Speisekammer. Bis spät sitzen wir zusammen, ein Abend an den wir uns noch lange erinnern werden.
Bei all der Geselligkeit haben wir nicht bemerkt, dass es zu regnen begonnen hat. Es regnet die ganze Nacht hindurch und ein Paar Gummistiefel wären wohl die beste Wahl gewesen für den ungeliebten Gang zum Uten do, dem Häusl draußen. Warum nur nehme ich dies alles in Kauf, so frage ich mich, als ich widerwillig aus dem Schlafsack schlüpfe und mich in Bergschuhen und Regenjacke auf den Weg mache
Tag 3. Storkvolvbu – Haldorbu, 13,8 km
Am nächsten Morgen sind all meine Zweifel wie weggeblasen. Im Ofen brennt ein neues Feuer, der Regen hat aufgehört und die Wolken werden immer heller. Unsere Mitbewohner haben für uns alle einen großen Topf mit Havregrøtt aufgesetzt. Schnell zubereitet und ganz nach Geschmack mit Nüssen, Rosinen, Obst oder Zimt und Zucker verfeinert ist diese skandinavische Variante des Porridge das Hüttenfrühstück schlechthin, das für den halben Tag satt macht.
Wir packen unsere wenigen Habseligkeiten in die Rucksäcke und schlüpfen in die noch immer feuchten Schuhe. Gegenseitige Umarmungen und die Versicherung wie schön es war, dass unsere Wege uns in der selben Hütte am selben Tisch zusammengeführt haben. Wir wünschen einander „God tur“ und mit den ersten Schritten in Richtung unseres neuen Ziels weiß ich: Ja, genau das ist es, was ich brauche. „Morning has broken like the first morning …“, dieser alte Song von Cat Stevens geht mir durch den Kopf, die ganze Welt liegt offen vor mir. Dieses Gefühl würde mir verschlossen bleiben, wenn ich nach einer komfortablen Nacht im Hotel meinem Tischnachbarn distanziert zunicke, jeder in sein Auto steigt und davon fährt.
Die heutige Etappe ist die längste auf unserer Runde, aber auch die schönste und vor allem die trockenste. Unser Steig führt unter den Abbrüchen von Nordre und Søre Langsua entlang, nach denen der Nationalpark benannt ist. Im Windschatten einer Mulde rasten wir. Wie in einem Bilderrahmen leuchten durch einen Taleinschnitt die verschneiten Gipfel des Jotunheimen herüber.
Mit Erreichen des Joches ändert sich die Szenerie. Vor uns liegt jetzt der südliche Teil des Huldreheimen, das weite, seenreiche Hochland um Yddin. Weit reicht der Blick darüber hinaus bis in die Berge des Golsfjellet. Auf halber Höhe rasten wir noch einmal und lassen diese schier endlose Weite auf uns wirken.
Unterwegs sind wir immer wieder zwei jungen Frauen begegnet, haben jeweils ein freundliches „hei, hei“ und ein paar Worte gewechselt. Jetzt empfangen sie uns auf Holdorbu mit „Hei, hei igien“, mit einer Tasse Kaffee und mit den Worten, dass mit uns nicht nur das Haupthaus sondern auch die ursprüngliche, alte Hütte voll ist. Im Haupthaus ist die große Gruppe untergebracht, der wir gestern begegnet sind, doch keine Spur von der Familie, die wir auf Skiurusten getroffen haben. Ob sie wohl weiter gegangen sind, weil es ihnen zu voll wurde? Zu voll? Das kannten wir bisher nicht in Norwegen, aber Huldreheimen ist ein einfaches und wohl gerade deshalb beliebtes Wandergebiet. Wir sitzen vor der Hütte in der Abendsonne, unterhalten uns, tauschen Schokolade und Kekse aus, und lassen den Tag ausklingen, als noch einmal Übernachtungsgäste eintreffen: eine Familie mit zwei Kindern und ein junger Mann mit zwei Hunden. Dieser entscheidet sich sehr bald die 15 Kilometer nach Liomseter weiter zu gehen – kann er auch jung und fit wie er ist. Die Familie bleibt und aus unserer 6-Personen-Hütte wird eine 10-Personen-Hütte.
Kein Problem beim Essen, wir kochen in Schichten und setzen uns mit den Tellern vor die Hütte. Problematischer wird es beim Schlafen, zumal es nirgendwo Reservematratzen gibt. Die Familie verteilt sich um den Esstisch, Papa auf dem Fußboden und auch wir bieten an uns ein Bettzu teilen, was jedoch nicht akzeptiert wird. Die einstimmige Meinung: uns stehen zwei Betten zu und eine der Frauen schäft auf dem Fußboden. Seniorenbonus könnte man das nennen.
Tag 4. Haldorbu – Storskag, 9,3 km
Frühstück ebenfalls im Schichtbetrieb. Das kommt uns sehr entgegen, denn mit unseren Schüsselchen mit Havregrøt setzen wir uns auf die Bank vor der Hütte. Es ist ein herrlicher Morgen, warm und windstill und kaum eine Wolke ist am Himmel zu sehen. Die heutige Etappe ist deutlich kürzer als gestern, nur rund 9 Kilometer zurück nach Storeskag. Allerdings wäre es ein Fehler hier nach mitteleuropäischem Maßstab zwei Stunden zu veranschlagen. Über weite Strecken führt der Weg wieder durch da sumpfige Becken der Skagsflye, es wird also zum Abschluss noch einmal ein nasser Tag werden.
Wir verabschieden uns von der netten Runde, bedanken uns nochmals bei all denen, die uns ganz selbstverständlich zwei Betten überlassen haben und wünschen allerseits „God tur.“ Wir sind die einzigen, die heute den Weg nach Storeskag einschlagen. Gleich hinter Haldorbu ist das erste Mals Spürsinn gefragt. Hat man dann aber den Pfad erreicht, ist es ein wunderbares Gehen auf festem Untergrund, sumpfig wird es erst in der zweiten Weghälfte. Der Pfad schlängelt sich durch lichten Wald, auf einer Brücke überqueren wir einen Bach, dem wir auf seinem trockenen, sandigen Ufer ein ganzes Stück weit folgen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie nahe tiefer Morast und trockener Sandboden zusammen liegen.
Auf halber Wegstrecke erhebt sich ein kleiner Hügel über der Ebene, derr Bollhaugen und auf ihm lädt ein großer Felsbrocken in Form eines Sitzes zur Rast ein. Hier kann man einfach nicht vorbei gehen. Wie die Greifvögel sitzen wir hier auf unserem Ausguck und haben den Überblick über die gesamte Ebene, von Haldorbu bis Yddin, von Storeskag bis in die Berge jenseits des Tales. Der Himmel beginnt sich zu bedecken, aber noch hält der Wind die Wolken auf Distanz.
Nach unserer Pause ist es dann vorbei mit dem entspannten Gehen. Von einem Meter zum anderen wird der Boden nass, der Weg, sofern überhaupt noch vorhanden, wird zum Wasserlauf. Wir bemühen uns gar nicht erst trockene Tritte zu finden. In längstens zwei Stunden sind wir in Storeskag und werden dort erst einmal unsere Schuhe im Bach waschen ehe wir sie ins Auto stellen. Wir kommen nur langsam voran, dieser Weg ist noch sumpfiger als der vom ersten Tag. Kaum zu glauben, dass hier Schafe und sogar Kühe den Sommer verbringen. Einige hundert Meter entfernt scharen sich gut 20 Stück mit lautem Muhen um einen Mann und wieder ein gutes Stück weiter sitzen seine beiden Hunde angepflockt an einen großen Stein. Wir können uns keinen rechten Reim darauf machen.
Jenseits des Tals hat es bereits zu regnen begonnen, wir sehen die Schauer in hellen, breiten Bändern zur Erde fallen. Wir machen uns keine Gedanken: Bis der Regen bei uns ist, sitzen wir längst im Trockenen, schon können wir auf dem Parkplatz unser Auto erkennen. Doch dann bildet der Bach Etne ein ernsthaftes Hindernis. Bei einem Bach dieser Größe und mit eigenem Namen hätten wir schon eine Brücke erwartet. Wir gehen ein ganzes Stück bachaufwärts, bis wir eine Stelle finden, die uns halbwegs geeignet erscheint. Vorsichtig steige ich von Stein zu Stein, doch dann kommt eine schräge Platte und ich habe Angst abzurutschen. Also lieber gleich ins über knietiefe Wasser! Detlef wagt den Schritt auf die Platte mit dem Ergebnis, dass er abrutscht und dann doch an der gleichen Stelle im Wasser steht wie ich zuvor.
Auf den letzte Metern vor Storeskag holt uns mit Siebenmeilenschritten der Mann mit den beiden Hunden ein. Er hat den Jungtieren in der Kuhherde Kraftfutter gebracht und die Hunde zurück gelassen, um die Mutterkühe nicht zu beunruhigen.
Wir sind schon fast am Auto als die ersten Tropfen fallen, und kaum haben wir die Schuhe gewechselt und alles vertaut, begint es ordentlich zu regnen. Danke liebe Elfe für das perfekte Timing während unseres Besuchs in deinem Reich.
Anreise: ab Oslo auf der E16 nach Fagernes, weiter RV 51 bis Heggenes, rechts abbiegen hinauf zur Yddin Fjellstue und auf Schotterstraße durch Almgelände zur DNT Hütte Storeskag (220 km).
Auf der Tour liegen folgende Hütten: