Drei Länder, zwei Flüsse und ein Berg
oder
nach Wien einmal ohne Autobahn
Was als Enkelbesuch geplant war, wurde zu unserer ersten größeren Reise mit dem Wohnmobil. Eigentlich hätten wir uns wie immer am Kreuz Nürnberg auf die A3 einfädeln und über Autobahnen bis nahe Wien praktisch vor ihre Haustüre fahren können. Doch wir wollten mehr. Wir wollten nach links und nach rechts schauen und endlich einmal die Gebiete kennenlernen, für die wir bisher lediglich ein „Man müsste mal, wir sollten mal …“ übrig hatten.
Zu Flüssen habe ich ein besonderes Verhältnis – vielleicht weil auch sie mit ihrem Lauf eine Reise zurücklegen – und schon länger hatte ich ein Auge auf die Moldau geworfen. Befeuert wurde diese Idee im April durch unseren Wochenendtrip nach Prag. Woher kommt eigentlich der Fluss, der das Gesicht der Goldenen Stadt so entscheidend mit prägt?
Unsere Reiseroute stand fest. Anstatt wie bisher um Tschechien herum zu fahren – die Geographie plus 40 Jahre Eiserner Vorhang hatten einst den Verkehrsplanern diese Streckenführung aufgezwungen – werden wir dieses Mal durch Tschechien fahren, gewissermaßen auf direktem Weg Niederbayern – Niederösterreich. Unser Wissen zu dieser Region ist mehr als kümmerlich, es wird also eine echte Entdeckungsreise werden.
Von unserem ersten Ziel, der Moldau, wissen wir lediglich, dass sie nahe der deutschen Grenze im Böhmerwald entspringt, jenem Mittelgebirge, dessen westliche Hälfte wir als Bayerischen Wald kennen. Und weiter? Viele Fragezeichen! Wir wissen, dass die Moldau in einer Art Naturdenkmal das Licht der Welt erblickt, dass man die Quelle entweder mit einer Wanderung ab Finsterau oder vom tschechischen Kvilda aus erreichen kann. Wir reden hier übrigens von der Warmen Moldau. Dass es auch noch eine Kalte Moldau gibt, die man aus welchem Grund auch immer links liegen lässt – und das im wörtlichen Sinn – haben wir erst beiläufig erfahren.
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Einen Tag später als geplant starten wir zu unserer Reise. Das bedeutet, die Wanderung ab Finsterau über den Siebensteinkopf zur Moldauquelle entfällt und mit der schnelleren Alternative durch Tschechien mit Auto und Fahrad ersetzt wird. Das sollte kein Nachteil sein, folgt man hier doch der Moldau ein ganzes Stück flussaufwärts. Besonders auf den letzten Kilometern von Obermoldau hinauf nach Kvilda ist die Landschaft so ganz anders als im benachbarten Bayerischen Wald. Die Weite des Tals, durch das sich der junge Fluss schlängelt, die bunten Blumenwiesen, die vereinzelten Baumgruppen, der Hochmoorcharakter, all das hätte man viel weiter nördlich erwartet. Eine der Schautafeln bringt es auf den Punkt: Die Landschaft hier ähnelt der arktischen Tundra. Tatsächlich ist das hier die kälteste Region Tschechiens und auch die Natur ist hier noch gut einen Monat zurück. Einige Bäume entfalten gerade ihre ersten Blätter, entlang der vielen Wasserläufe stehen die Sumpfdotterblumen in voller Blüte und im Wald ruft sogar noch ein Kuckuck.
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In Kvilda, einem verschlafenen kleinen Dörfchen, endet die Autofahrt und wir steigen um auf’s Fahrrad. Kapp sechs Kilometer sind es noch bis zur Quelle der Moldau, „Pramen Vltavy“ steht auf den Wegweisern, und schon bald verschwindet das aspahltierte Sträßchen im Wald, das zum Glück für Autos gesperrt ist. Für einen ganz normalen Wochentag ist der Weg gut frequentiert und wir können uns ausmalen, was hier an einem schönen Ferienwochenende los sein kann. Die Moldauquelle ist offenbar so etwas wie ein Nationalheiligtum, außerdem ist sie einfach zu erreichen. Die rund 100 Höhenmeter ab Kvilda verteilen sich gleichmäßg auf die sechs Kilometer und fallen uns eigentlich erst bergab auf dem Rückweg auf.
Nach der Vereinigung mit der Kalten Moldau ist aus den beiden Bächen ein richtiger Fluss geworden, der 40 Kilometer weiter im Lipno Stausee zum ersten Mal gestaut wird. An seinem Ufer, im Olšina Camping übernachten wir und erleben einen Bilderbuch Sonnenuntergang.
Man sieht es auf den ersten Blick: Krumau ist eine bezaubernde kleine Stadt, die über die Jahrhunderte gewachsen ist. Hier stimmt einfach alles, das hügelige Umland, die Altstadt mit ihren historischen Gebäuden und Plätzen und nicht zuletzt die Moldau als wichtige Komponente im Stadtbild. In zwei Schleifen durchfließt sie die Stadt, „umarmt“ gewissermaßen die historischen Stadtteile. „Krumme Au“ war die Bezeichnung für den gewundenen Flusslauf, aus der sich schließlich der Ortsname entwickelte.
Geplant hatten wir einen zwei- bis drei-stündigen Rundgang, um die Stadt wenigstens oberflächlich kennen zu lernen und einen ersten Eindruck zu bekommen, denn dass wir in der kurzen Zeit Krumau mit all seinen Sehenswürdigkeiten nicht intensiver entdecken konnten, war uns klar. Gescheitert ist dieser Plan an unserem ersten Ziel, der monumentalen Schlossanlage Český Krumlov, die fast ein Drittel der nördlichen Flussschleife ausfüllt. Gewaltig thronen die Gebäudekomplexe auf dem Hügel hoch über der Moldau. Allein schon wegen der Ausmaße zählt sie zu den bedeutensten Baudenkmälern Mitteleuropas und gehört seit 1992 zum UNESCO Welterbe. Entsprechend groß ist der Besucherandrang aus aller Welt.
Erster Blickfang ist die dreistöckige Mantelbrücke, die den Burggraben überspannt und 2 Schlosshöfe miteinander verbindet. Erstmals erwähnt wurde sie im 15. Jahrhundert, ihr heutiges Aussehen stammt aus dem Jahr 1777. Über sie führt auch heute noch der Weg ins Schloss. Dort hätten wir uns dann entscheiden können zwischen mehreren Führungen auf verschiedenen Routen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten, zwischen Ausstellungen und Museen – auf dieser Burg kann man Tage zubringen. Wir entscheiden uns für den Schlossgarten mit herrlichem, alten Baumbestand und einem wunderbaren Blick über die Stadt, ehe wir wieder hinunter steigen. Wir waren nicht das letzte Mal in Krumau!
In Budweis verabschieden wir uns von der Moldau. Sie fließt konsequent weiter nach Norden, wir wählen Richtung Südost unserem nächsten Ziel entgegen, der Donau. Mit einem Mal ist es wieder ruhig auf den Straßen, was nach dem turbulenten Verkehr der beiden Städte besonders auffällt. Das große Wald- und Seengebiet östlich von Budweis liegt nicht gerade im Zentrum des Verkehrs, obwohl es von der E 49, Prag – Wien durchschnitten wird. Kleine Straßendörfchen, oft nur mit einer Handvoll Häusern, liegen auf unserem Weg von Třeboň in Richtung Österreich. Unvermittelt tauchen sie aus dem Wald auf und sind nach dem letzten Haus auch schon wieder darin verschwunden. Es ist eine ruhige, friedliche Landschaft, durch die wir hier fahren.
Durch das österreichische Waldviertel fahren wir weiter unserem Ziel entgegen. Allmählich weichen die Wälder einer offenen Agrarlandschaft, weit reicht der Blick bis zum Horizont. Erst als wir uns dem Donautal nähern tauchen wieder die Konturen von Hügeln auf.
Es folgen zwei sommer-sonnige Familientage. Mit den Enkeln radeln
wir ein Stück auf dem Donauradweg und wandern im Wiener Wald. Abends sitzen wir im Heurigen Lokal auf der Terrasse mit Blick über den Ort und ins hügelige Wiener Umland und genießen den lässigen, entspannten Lebensstil, den man hier pflegt.
Auf die Wettervorhersage kann man sich heutzutage meist verlassen – in diesem Fall leider. Die drückende Schwüle, als wir uns an diesen Morgen verabschieden, lässt nichts Gutes ahnen. Diesiges Grau am Himmel und wolkenverhangene Berge als wir von St. Pölten in Richtung Steiermark fahren, Ziel Erlaufsee im Naturpark Ötscher. Angepeilt hatten wir bei diesem Berg, der sich von der A1 gesehen so deutlich über der Ebene erhebt, nicht den Gipfel – der mit seinen 1.893 m übrigens noch winterlich verschneit ist – sondern die zerklüftete Südseite an seinem Fuß, die Ötschergräben, die als Österreichs Grand Canyon gepriesen werden. Einen, vielleicht sogar zwei Tage hatten wir dafür eingeplant, doch ab morgen ist für mehrere Tage Regen vorhergesagt. Heute ist es zumindest noch trocken.
Unser Entschluss reift spontan, als wir um die Mittagszeit unser Auto nahe der Erlaufklause abstellen. Bis zur Jausenstation Ötscherhias ist es eine knappe Stunde und dann sehen wir weiter. Über den steilen Waldpfad steigen wir hinunter zum Ötscherhias ungefähr in der Mitte des Grabens. Nur zu Fuß erreichbar bietet diese Jausenstation Wanderern die Möglichkeit zur Stärkung vor spektakulärer Kulisse. Geführt wird sie trotz aller Widrigkeiten mit viel Engagement und Bewusststein für die Umwelt, dennoch könnten jetzt kaum finanzierbare Umweltauflagen (z.B. Kläranlage) das Ende bedeuten. Die Frage ist, was kommt danach? Der Ötscherhias ist kein Ausflugslokal am Straßenrand, Wanderer wird es nach wie vor in den Ötschergräben geben und die erledigen ihr dringendstes Bedürfnis dann eben „open air“.
Da es nach einer kurzen Einkehr beim „Hias“ immer noch nicht nach baldigem Regen aussieht, gehen wir weiter bis zum Mirafall, auf schmalem Pfad, über hölzerne Stege, immer knapp oberhalb des glasklaren Bachs und staunen über die Vielfarbigkeit des Wassers, die es je nach Untergrund, Tiefe und Fließgeschwindigkeit widergibt. Der kurze Abstecher hat uns darin bestätigt, die Ötschergräben einmal in voller Länge zu durchwandern.
Auf dem Rückweg beginnt es zu nieseln und als wir nach dem Aufstieg vom Hias wieder die Forststraße erreicht haben, werden wir auf den letzten zwei Kilometern noch ordentlich nass. Umso gemütlicher ist dann unser später Nachmittagskaffee im Auto. Wohl dem, der seine Küche mit dabei hat!
Regen auch am nächsten Tag, tief hängen dicke Wolken zwischen den Bergen. Wir wählen dennoch nicht die kürzeste Route über die Autobahn, „wandern“ mit dem Auto vorbei am Lunzer See und entlang der wild schäumenden Enns durch den Nationalpark Gesäuse. Auf der A3, Ausfahrt Hengersberg schließt sich dann der Kreis. Hier sind wir vor sechs Tagen abgebogen in Richtung Böhmerwald, Moldauquelle.
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