Dass dieses Klischee von Norwegen tatsächlich Wirklichkeit ist, davon konnten wir uns auf unserer Wanderreise im August überzeugen. In etwas mehr als zwei Wochen erlebten wir dieses großartige Land intensiv und mit vielen Facetten, von den Gletscher bedeckten Bergen bis hin zu Fjorden und Meer.
Den Auftakt unserer Reise bildete eine Trekkingtour. Fünf unvergessliche Tage waren wir in der Hochgebirgswelt des Jotunheimen unterwegs – eine anspruchsvolle Runde, die uns bis hinauf zu Skandinaviens höchst gelegener Hütte, der Fannaråkhytta und auf das „Dach Skandinaviens“, den Galdhøpiggen geführt hatte. → mehr zu dieser Tour
Das sollte der Höhepunkt unserer Reise gewesen sein, so dachten wir, als wir abends gemütlich vor den beiden Hütten saßen, die wir auf dem Campingplatz in Luster gemietet hatten und die fünf Tage bei einem Glas Wein noch einmal in unseren Gesprächen vorüberziehen ließen. Die wilde Hochgebirgswelt Norwegens hatten wir kennen gelernt, nun freuten wir uns auf die nächsten Tage, die uns das Land aus einer ganz anderen Perspektive zeigen sollte.
Drei Tage blieben wir am Fjord. Wir wanderten auf den Aussichtsberg Molden und zu den Gletscherzungen von Nigardsbreen und Bøyabreen. Wir schnupperten Geschichte in der fast tausend Jahre alten Stabkirche in Urnes und stöberten durch das Bücherdorf Fjærland. Abends saßen wir zusammen auf der Wiese vor unseren Hütten bei gutem Essen und (rationiertem) Wein und ließen es uns gut gehen. Es waren drei relaxte, zeitlose Tage hier an diesem nördlichsten Arm des Sognefjords. Dennoch zogen wir weiter und folgten dem großen Fjord bis zu seiner Mündung ins Meer.
von links:
Fjærland, Dorf der Bücher
Aussichtsberg Molden
Stabkirche Urnes
unten:
Nigardsbreen, eine der vielen Gletscherzungen des Jostedalsbreen
Dort liegt zwischen Festland und offenem Meer Solund, Norwegens westlichste und einzige Nur-Insel-Kommune. Entstanden ist dieses Land der tausend Inseln vor 400 Millionen Jahren durch Auffaltungen von der Größe des Himalaya und anschließender Abtragung in weiteren Jahrmillionen auf heutige Dimensionen. Eine geologisch äußerst interessante Region!
Rund 200 km lang folgte unsere Straße dem Nordufer des Sognefjords, entlang aller Klippen und Buchten und schenkte uns großartige Blicke über den Fjord. Bald hatten wir die touristischen Regionen hinter uns gelassen, bestes Indiz waren die nur noch sporadisch vorhandenen Campingplätze. Wir hatten uns den weiteren Verlauf der Reise bewußt offen gelassen und nirgendwo vorbestellt. Allmählich wurde ich nachdenklich. Ob wir wohl für acht Personen eine zufriedenstellende Bleibe finden würden? Im Fährhafen von Rysjedalsvika standen wir zum Übersetzen an und blätterten im Internetausdruck von Solund. Mein Blick fiel auf ein Bild mit zwei rot gestrichenen Holzhäusern direkt am Wasser, „Steinsund Marinesenter“ stand darunter. Wir riefen an – ein Glücksgriff wie sich herausstellte.
In den beiden Häusern waren vier gut ausgestattete Ferienwohnungen untergebracht – und gerade heute war eine davon frei geworden. Wie bestellt für uns!
Unsere deutsche Vermieterin versorgte uns mit guten Tipps und selbst geräuchertem Lachs, unsere angelnden Nachbarn täglich mit fangfrischem Fisch. Es war fast wie im Schlaraffenland.
Solund ist hauptsächlich bei Bootstouristen bekannt, die hier gerne Station machen und in dem Gewirr dieser Inseln ein Eldorado auf dem Wasser vorfinden. Für Landratten gibt es einige markierte Wege auf die bis zu 500 Meter hohen Erhebungen, doch erforderen das rauhe Konglomerat-Gestein und die Wegführung ab und zu etwas „Geländegängigkeit“. Belohnt wird man mit einer einmaligen Aussicht über die Inseln bis hinüber zum Festland.
Am letzten Tag unseres Aufenthalts verlegten wir unsere Aktivität aufs Wasser. In Hardbakke, der verschlafenen „Inselhauptstadt“, bestiegen wir das Postboot zu einer Rundreise durch das Archipel. Nach Fahrplan lief unser Kapitän-Postboote die einzelnen Inseln an, die oft nur von vier oder fünf, manchmal auch nur von einer einzigen Person bewohnt sind. Meist wurden wir schon freudig am Anleger erwartet und immer mit einem Gruß und einem Winken verabschiedet. Wir waren die einzige Abwechslung an diesem Tag!
Im Sommer mag es ja ganz nett sein, wie Robinson auf seiner Insel zu leben, zumal an einem so strahlend schönen Tag mit wolkenlosem Himmel und spiegelglatter See. Aber im Winter, wenn die Tage kurz sind, wenn Stürme über die Inseln hinweg fegen und meterhohe Wellen die Verbindung zur Außenwelt unmöglich machen?
Wir kreuzten weiter zwischen den Inseln, bis wir auch die alleräußerste erreicht hatten. Der Fahrtwind wehte uns ins Gesicht, Gischt wirbelte hinter dem Boot auf und abertausend Wassertröpfchen funkelten in der Sonne. Vom Festland leuchteten schneebedeckte Gipfel über dem tiefblauen Wasser. Das Klischee war erfüllt.
Für uns hieß es am nächsten Tag Abschied nehmen von dieser Inselwelt. Schon um halb acht standen wir am Fährhafen, um aufs Festland überzusetzen.
Vor uns lag ein langer Fahrtag quer durch Südnorwegen bis Oslo.
Viele Eindrücke nahmen wir mit nach Hause: die vergletscherten Bergriesen des Jotunheimen, die Landschaft am Sognefjord mit all ihren Gegensätzen, die Inselwelt vor seiner Mündung – all dies fanden wir auf einer einzigen Reise!